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Der Zuckertütenbaum

In Mitteldeutschland steht ihre Wiege – der Brauch, dem Schulanfänger eine Zuckertüte zu schenken, kam im 19. Jahrhundert in Thüringen und Sachsen auf. Spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts hält die Tradition Einzug im gesamten Land. Inzwischen gehört die bunte, gut gefüllte Schultüte seit Generationen ganz selbstverständlich zum Schulanfang dazu.

 

"In jeder Schule wächst ein Zuckertütenbaum. Wenn die Tüten groß genug sind, ist es für die Kinder höchste Zeit, zur Schule zu gehen." – So oder so ähnlich werden Kinder seit ca. 200 Jahren auf den Schuleintritt vorbereitet – was jedoch nie fehlen darf, ist die Zuckertüte selbst. Bis heute erfreut sie sich ungebrochener Beliebtheit. Lediglich Aussehen und Inhalt sind mit der Zeit gegangen – die ändern sich genau wie Mode und Frisuren der stolzen Zuckertüten-Träger. So kann man bisweilen am Einschulungsfoto gut erkennen, aus welchem Jahrzehnt die Aufnahme stammt.

 

Mythen um die Zuckertüte

Es ranken sich verschiedene Mythen um die Entstehung des Schultüten-Brauches. Gemeinsam ist ihnen, dass den Kindern wohl der Ernst des Lebens, sprich der Schulanfang, versüßt werden sollte. Fest steht, dass erste Hinweise auf die Zuckertüte nach Thüringen und Sachsen führen – hier also sollen die ersten Zuckertüten an kleine ABC-Schützen verteilt worden sein. Bettina Nestler, Geschäftsführerin von Nestler, der ältesten Zuckertütenfabrik Deutschlands: "Damals ist ein Vater zum Konditor gegangen, zur Konditorei und hat dort für seinen kleinen ABC-Schützen eine Tüte mit Zuckerwerk füllen lassen – also Zuckertüte. Damals war auch die Einschulung zu Ostern, deswegen entwickelte sich dann im Laufe der Zeit auch der Begriff Ostertüte."

 

Zuckertütenbaum

Es ist zwar wissenschaftlich gesehen schwierig, ein genaues Datum für die Geburtsstunde der Zuckertüte festzulegen, auf jeden Fall finden sich frühe schriftliche Belege für Jena (1817), Dresden (1820) und Leipzig (1836). 1853 wird die Zuckertüte sogar als Thema eines Kinderbuches aufgegriffen – die Verbreitung des Brauches scheint damit vorangeschritten. Genau in diesem Buch "Zuckertütenbuch für alle Kinder, die zum ersten Mal in die Schule gehen" von Moritz Heger ist auch vom Zuckertütenbaum die Rede – eine Tradition, die bis heute vor allem in den neuen Bundesländern gepflegt wird. In den Schulen oder manchmal auch bereits im Kindergarten werden den ABC-Schützen die Schultüten von eben einem solchen Baum "gepflückt" und überreicht. Spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Schultüte in vielen Regionen Deutschlands bekannt – zuerst in Berlin und großen Städten, späterhin auch in ländlichen Gegenden.

 

Zuckertüte in der DDR gebräuchlicher

Entsprechend ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes ist die Zuckertüte in der DDR gebräuchlicher als in der Bundesrepublik. Und es gibt Unterschiede – im Osten sind die Zuckertüten oft sechseckig und 85cm groß, im Westen heißen sie meist Schultüte, sind rund und mit 70cm etwas kleiner. Ausnahmen gibt es natürlich immer. Auch bei den Feierlichkeiten zum Schulanfang gibt es Ost-West-Unterschiede, wobei sich diese sogar bis heute halten. In den neuen Bundesländern wird der Schulbeginn groß begangen – meist am Wochenende vor dem ersten Schultag – mit Feierstunde in der Grundschule inklusive der Übergabe der begehrten Zuckertüten an die Kinder. Zuhause oder im Restaurant folgt dann eine Familienparty und es gibt weitere (kleinere) Zuckertüten aus der Verwandtschaft samt Glückwunschkarten und anderen Geschenken zur Einschulung. Bettina Nestler: "In den neuen Bundesländern wird das sehr groß gefeiert – wir sagen, wie eine kleine Hochzeit – da kommt wirklich die ganze Familie, da kommen Freunde zusammen – es wird nicht nur eine Schultüte geschenkt, sondern auch mal bis zu 10 Stück in diversen Größen. Aber in den alten Bundesländern ist es noch relativ nebenbei, muss ich sagen – da wird dem Kind die Schultüte in die Hand gedrückt, so wie wir das jetzt wissen und dann war es das auch schon."

 

Älteste Zuckertüten-Fabrik ist in Sachsen

Einfacher als ihr Geburtsjahr zu bestimmen, ist es, die älteste Produktionsstätte für Zuckertüten zu verorten. Sie befindet sich in Sachsen. In Ehrenfriedersdorf wird bei der Firma Nestler, die 1894 gegründet wurde, die Zuckertüte bis heute in liebevoller Handarbeit gefertigt. Bereits 1910 begann Carl August Nestler in seinem Papierverarbeitungswerk serienmäßig Schultüten herzustellen – und war mit dieser Idee der erste Schultüten-Fabrikant in Deutschland.

 

Zwei Millionen Zuckertüten jährlich

Heute führt Bettina Nestler zusammen mit ihrer Mutter Ursula Nestler in vierter Generation die Zuckertütenproduktion. Jährlich werden ca. zwei Millionen Zuckertüten in verschiedenen Größen und unterschiedlichen Designs gefertigt. Neue Trends und Raffinessen erobern die klassische kegelförmige Schultüte. Aktuell ganz vorn auf den Wunschlisten stehen diverse Disneyhelden wie Elsa die Eiskönigin, die Minions oder auch die Star Wars Tüte mit integriertem LED-Leuchtschwert. Darüber hinaus gibt es auch Motive, die sich mehrere Jahrzehnte halten – dazu zählen Klassiker wie Märchenhelden, Katzen oder Pferde – andere Figuren wiederum bleiben so lang aktuell, wie Filme und Bücher mit ihnen in den Geschäften zu finden sind. "Man muss sich eben immer etwas Neues einfallen lassen, um auf dem Markt bestehen zu können", sagt Bettina Nestler. "Sei es neue Größen, neue Formen, wie z.B. auch die zwölfeckige Tüte. Was den Kindern immer wichtiger wird heutzutage, ist wirklich – wo kann man draufdrücken, passiert hier was, oh funkelt hier was. Also das heißt, wir haben auch Schultüten mit einem Soundeffekt oder auch schöne Mädchentüten, die blinken und funkeln."

Der Schultüten-Brauch findet nur im deutschsprachigen Raum Anwendung – in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz können die Schulanfänger mit einer Zuckertüte in den Ernst des Lebens starten.

(Quelle: www.mdr.de)

 

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